„Ich bin mir sicher, niemanden geschadet zu haben“
Persönliche Erklärung zu den Ergebnissen der Überprüfung auf Mitarbeit mit dem MfS in der Gemeindevertretersitzung am 28. 2. 2013 von Wolfgard Sonja Siebert
In den letzten Tagen und Wochen musste ich zur Kenntnis nehmen, dass das für mein Amt der Vorsitzenden der Gemeindevertretung nötige Vertrauen einer großen Mehrheit der Abgeordneten nicht mehr besteht. Unabhängig davon, ob und in welchem Maße das Abwahlbegehren Erfolg haben würde, konnte ich in den letzten Tagen aufgrund mehrerer Gespräche ein Gefühl dafür bekommen, dass die Zahl der Abgeordneten, die mich weiterhin in der Funktion der Vorsitzenden der Gemeindevertretung sehen wollen, nicht ausreicht, um das Amt mit der nötigen Autorität und Vertrauensbasis auszuführen. Ich sehe es deshalb als meine Pflicht an, mein Amt als Vorsitzende der Gemeindevertretung mit sofortiger Wirkung niederzulegen, was ich hiermit tue.
Mit Bedauern musste ich zur Kenntnis nehmen, dass die Debatte um meine Person, um meine Biografie – veröffentlicht wie individuell – teilweise Formen angenommen hat, die eher einer politischen Verurteilung dient als der seriösen und fairen Auseinandersetzung. Diese Aussage richte ich zuerst an die Kreisebene. Aber natürlich bleiben die Leegebrucher Belange nicht davon unberührt. Ich bedauere auch, wenn sich Gemeindevertreter oder Fraktionen meinetwegen einem öffentlichen oder individuellen Druck ausgesetzt fühlen, obgleich dieser gewiss nicht von mir oder meiner Fraktion ausging.
Zu den einzelnen Vorwürfen meiner Zusammenarbeit mit dem MfS möchte ich hier im Einzelnen nicht eingehen. Dazu fehlt an dieser Stelle der Raum dafür. Nur soviel sei gestattet anzumerken:
1.
Im April 1982 habe ich das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters für Inneres in der Gemeinde Leegebruch übernommen. Zu meiner Aufgabe gehörte bekanntermaßen die Organisation von Sicherheit, Ordnung und Katastrophenschutz, die Betreuung bestimmter Personengruppen, wie Haftentlassene und damals sogenannte „kriminell gefährdete Bürger“. In dieser staatlichen Funktion hatte ich bekanntermaßen mehrfachen dienstlichen Kontakt mit dem MfS wie auch mit anderen staatlichen Organen. 1986 wurde ich in die Gemeinde Germendorf versetzt und war bis 1988 dort als Bürgermeister tätig. 1988 wurde ich als Bürgermeister nach Leegebruch zurück versetzt. Mitarbeiter des MfS haben mich seit Beginn meiner Tätigkeit im Staatsapparat 1982 kontaktiert. 1985 habe ich meine Unterschrift unter eine Berufungsurkunde gesetzt. Alle meine Kontakte mit dem MfS fanden in meinen Diensträumen und im dienstlichen Rahmen statt.
Man mag es verstehen oder verurteilen: Aber zu DDR-Zeiten erachtete ich eine Zusammenarbeit mit dem MfS nicht als unmoralisch, zählte ich doch zu den Befürwortern der DDR. Für mich war zu jener Zeit das MfS ein „normales“ staatliches Organ innerhalb des DDR-Systems. Mit dem heutigen Wissen bewerte ich mein damaliges Agieren natürlich differenzierter und kritischer.
2.
Die im Bericht der BStU genannten Berichte wurden durch die Führungsoffiziere nicht zeitnah, sondern meist drei/vier Wochen nach den geführten Gesprächen, aufgeschrieben. In der gesamten Zeit der Kontakte mit dem MfS habe ich persönlich einen handschriftlichen Bericht abgefasst, in welchem ich auf objektiv vorhandene Wohnungsprobleme nach einem Brand eines Mehrfamilienhauses in der Gemeinde Germendorf aufmerksam gemacht habe. Dies habe ich auch deutlich auf dem Schriftstück vermerkt.
Ich bin mir sicher, zu keiner Zeit Bürgerinnen oder Bürger gegenüber dem MfS oder anderen Organen denunziert zu haben. Ich erkläre hiermit ausdrücklich: Sollte es Menschen geben, denen durch mein damaliges Verhalten bzw. meine damalige Tätigkeit Nachteile oder Schaden erwachsen sind, so bin ich natürlich gerne dazu bereit, mit diesen über die persönlichen Folgen meines Handels zu reden und mich ggf. dafür zu entschuldigen.
Bislang ist mir eine solche persönliche Betroffenheit durch mein Agieren etwa von Einwohnern Germendorfs oder Leegebruchs nicht bekannt. Und sie ergibt sich meines Erachtens auch nicht aus den Unterlagen der BStU.
Mich jedoch unter einen Generalverdacht oder gar eine Generalschuld für das damalige System zu stellen, lehne ich kategorisch ab. Insofern kann ich mich kaum allgemein bei den Opfern, bei allen Opfern für Dinge entschuldigen, die ich nicht zu verantworten habe und bei Opfern, die ich nicht kenne, die es in meinem Fall womöglich auch nicht gibt.
Wer behauptet, er wisse da mehr, er kenne Menschen, die durch mein Verhalten zu schaden gekommen sind, der muss hierzu auch den Beweis antreten.
Meine Tätigkeit erfolgte innerhalb des damaligen Rechtssystems, gleich wie dies heute bewertet wird. Ich bin überzeugt, durch mein konkretes Handeln niemand geschadet zu haben. Meine Tätigkeit in Leegebruch und Germendorf verrichtete ich im Dienste der jeweiligen Gemeinden. Ich habe immer versucht (im Rahmen des Systems) die Interessen zuerst der Orte und seiner Einwohner zu vertreten. Als Indiz dafür lassen Sie mich die durchaus gegenüber der SED-Kreisleitung und des Rates des Kreises kritischen Berichte anführen, die Sie in der BStU-Akte finden. Ich möchte diesbezüglich auch an die offensive Unterstützung der Bürgerschaft Leegebruchs durch den Rat der Gemeinde und insbesondere meiner Person als Bürgermeisterin bei der Interessenvertretung bei der Umsetzung des Modrow-Gesetzes 1990 (Zusammenführung Gebäude- und Grundstückseigentum) erinnern, damals sicher keine Selbstverständlichkeit.
Aus diesen Erwägungen heraus, muss ich mich bezüglich meiner gesellschaftlichen Tätigkeit bis zur Kommunalwahl 1990 nicht schämen. Dass ich hierbei insbesondere die Frage der Zusammenarbeit mit dem MfS ausnehme, diese persönlich kritisch zu hinterfragen habe, steht außer Zweifel.
Schon gar nicht sehe ich einen Grund, mein ehrenamtliches demokratisches Wirken in der Nachwendezeit und der Bundesrepublik Deutschland zu verneinen.
Mein Abgeordnetenmandat erhielt ich mit deutlichem Votum zahlreicher Bürgerinnen und Bürger unserer Gemeinde. Viele meiner Wählerinnen und Wähler wussten und wissen um meine Vergangenheit und schenkten mir dennoch Ihr Vertrauen. Ob dies auch nach der aktuellen Debatte bzw. vermeintlichen oder tatsächlichen neuen Erkenntnissen noch immer so ist, müssen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Ich werde deshalb mein Abgeordnetenmandat nicht aufgeben.
3.
Ich nehme die Bedenken der Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen ernst. Ich verstehe, wenn es Bedenken und Vorbehalte hinsichtlich meiner Biografie und dem Umgang damit gibt. Sollten sich Abgeordnete in der Vergangenheit nicht ausreichend informiert fühlen, so bitte ich zu berücksichtigen, dass wohl keiner der Anwesenden alle Teile seiner oder ihrer Handlungen und Entscheidungen ständig vor sich her trägt. Insofern bitte ich um Verständnis, wenn aus meiner Sicht teilweise längst bekannte Sachverhalte nicht bei jeder Personalentscheidung wiederholt offengelegt werden. Ich kann versichern: Wie in der Vergangenheit, so stehe ich auch in Zukunft für Gespräche und Fragen zur sachlichen Auseinandersetzung mit meiner Biografie zur Verfügung.
Wer unsere bisherige gemeinsame Arbeit resümiert, wird anerkennen müssen, dass mein Agieren – abseits den Meinungsunterschieden in der Sache – immer im Sinne einer gedeihlichen Zusammenarbeit und der Entwicklung unserer Gemeinde stand. Ich versichere, dass dies auch weiterhin mein Anliegen sein wird.
Ich bedanke mich bei allen, die mir in der Vergangenheit und ggf. bis heute Ihr Vertrauen geschenkt haben und denen, die auch in der schwierigen Debatte der letzten Wochen und Monaten zu einer differenzierenden Sichtweise bereit waren.
Meinem Nachfolger/meiner Nachfolgerin wünsche ich viel Erfolg.